Jeep Compass Hybrid

Oder: Die verfilmte Gebrauchsanweisung

Wenn es um Autos geht, beanspruchen in Deutschland zwei Instanzen die traditionelle Kompetenz für die Meinungsbildung: der ADAC und die AutoBild. Das hat sich geändert, seit die sogenannt “sozialen Medien” in den Kampf um die Deutungshoheit eingetreten sind. Doch damit taucht auch im Motorjournalismus ein Phänomen auf, das man aus dem Konsumbereichen Lifestyle & Beauty schon kannte: Ist das nicht eher Werbung?

In erstaunlich vielen Auto-Videos auf YouTube stehen durchgängig Schrifteinblendungen wie Produktvideo, PR oder Dauerwerbesendung. Letzteres kennt man bereits aus dem Privat-Fernsehen, wobei nicht nur reine Teleshopping-Kanäle derart markiert werden müssen. Im Lifestyle-Bereich gab es schon lange “Influencer“, was wörtlich übersetzt ja Beeinflusser meint. Dabei werden Produkte gegen Entgelt empfohlen. Die Hersteller der Produkte berechnen die Gage für solche Werbeverträge weitgehend nach Klickzahl. Zusätzlich zahlen die Internet-Kanäle oder zwischengeschaltete Agenturen in gleicher Währung. Für eine ungefähre Vorstellung: € 1,- für 1.000 Klicks. Deshalb verfügen die Landesmedienanstalten nach eingehender Überprüfung die Kennzeichnung der Werbung. Aber Motorjournalismus als peinliche Verkaufsveranstaltung? Was ist da passiert?

“Des Deutschen liebstes Kind ist sein Auto.” Dieser oft kolportierte Satz verliert zwar zunehmend seine Trefflichkeit, dennoch hat er dem Motorjournalismus für Jahrzehnte einen Persil-Schein ausgestellt. Nahezu jedes neue Modell wurde ausführlichst von den Auto-Redaktionen gewürdigt. Klar im Vorteil waren dabei immer die selbsternannten Spezialisten aus der Abteilung “Bewegtbild”, also die TV-Redakteure. Denn ein Automobil weckt die Sehnsucht schon namentlich durch Bewegung, wohingegen das Schwarz-Weiß der gedruckten Buchstaben sich mit statischer Farblosikkeit begnügen muss. Die Fernseh-“Filme” über Autos schwankten bisher zwischen scheinwissenschaftlichen Vergleichstests und informationslosen Boulevard-Inszenierungen. Da stammeln auch mal 20-jährige Soap-Sternchen knapp bekleidet vor einem Ferrari, dass sie den “schicker” fänden, als den Lambo; daneben.

Die Veteranen der Branche mühten sich, mit arbeitsintensiver, filmischer Auflösung unterschiedliche Perspektiven zu beleuchten. Das war keineswegs nur cinematographische Ambition, sondern auch immer die Suche nach dem Bedeutungszusammenhang zwischen Autokultur und Marktgeschehen. Denn vormals galt das Auto in Deutschland als Kulturgut, heute taugt das gut als Feindbild.

Seitdem nun aber YouTube den Pseudo-Journalisten Tür und Tor geöffnet hat, bzw. Kanal und Klicks, hat sich die Sicht auf die Neuerscheinungen der Autoindustrie massiv verändert und das nicht zum Besseren. Gemäß aktuellem Sprachgebrauch nennen wir solche Berichte mal einfach “Auto-Videos”. Maß und Mäßigung fehlen dabei völlig, denn solche meist überlangen Präsentationen werden in der Angemessenheit der Darstellung nicht mehr beschnitten von Richtlinien-Kompetenz oder Redaktionskonferenzen. Eine journalistische Absicht ist dabei nicht zu erkennen, denn letztlich wird an einem Auto mindestens eine halbe Stunde lang beschrieben, was ohnehin zu sehen ist. Da werden mit dem Finger Bauteilformen nachgezeichnet und zeitgleich vollmundig ebenso beschrieben. Da wird die vordere Haube aufgeklappt und auf den Motor hingewiesen, der unter seiner schwarzen Schalldämmung allerdings unsichtbar bleibt. Da umschreitet der moderate Tor das oft so genannte Blechkleid mit mehr, oder meist weniger geistreichen Sprachbildern auf Allgemeinplätzen. Der Höhepunkt der automobilen Umrundung kündigt sich meist an mit dem Hinweis auf die verbesserte Qualitätsanmutung, besonders bei den Spaltmaßen. Ja was denn nun: Qualität oder nur eine Anmutung?

Wolfgang Haug nannte dergleichen “Gebrauchswertversprechen” und meinte damit den schönen Schein der Ware. Solche Auto-Weltbetrachtungen sind produktionstechnisch allerdings schnell realisierbar, offensichlich nahezu 1:1 gedreht und füllen die erste Viertelstunde. Es folgt: Teil zwei des Auto-Videos.

Auch in zweiter Lesung wird der Auto-Videograph zum Selbstdarsteller. Er sitzt im Auto und zieht das deskriptive Intérieur-Programm durch; selbstredend ohne durch das Wissen um die richtige Aussprache von Nasalen belastet zu sein. Sämtlich Instrumente erfahren eine besondere Würdigung durch Fingerzeig. Obligates Platznehmen in der zweiten Reihe und: “Schaut mal, selbst ich kann hier sitzen.” Nach rund zehn Minuten auch inhaltlichen Stillstandes kommt endlich Bewegung in die Blechhütte. Er fährt (alter Print-Scherz: erfährt) das Auto hinter dem Steuer. Dazu wird eine nur € 300,- teure GoPro-Actioncam mit Saugnapf innen an die Scheibe gepappt und Frau oder man redet über seine Eindrücke und redet und redet . . . und redet. Nicht einmal dabei erkennt man unterschiedliche Fahrsituationen, denn dafür reicht die Motivation wohl nicht. Das Fahrzeug rollt mit mäßiger Geschwindigkeit einfach geradeaus. Es gab auch Kollegen, die für einen Fünf-Minüter mit dem Testwagen nicht einmal das Gelände des Hotels am Präsentationsort verlassen haben. Selbst wenn fünf kleine Actioncams am Auto kleben: die zeitgleiche Fahraufnahme von außen wird verwendet, wiewohl die sich Kameras oft gegenseitig zeigen und das Fahrzeug aussieht wie ein monströser Käse-Igel.

So wie “wir” das früher gemacht haben, war das ein irrsinniger Aufwand. Da gab es mindestens einen ausgebildeten Kameramann plus Tonassi, die selten unter DM 700,- als Tagesgage forderten. Schon das übliche Equipment mit Betacam SP, SQN-Tonmischer und Lichtkoffer waren unter DM 70.000,- kaum zu haben. Und ein analoger Avid-Schneideplatz musste meist mit einer Viertelmillion finanziert werden. Ja, das war ein “exklusiver” Beruf, weil er schon über das Preis-Niveau die Amateure ausgeschlossen hatte und das war gut so.

Heute lässt sich mit einer rund € 1.500,- teuren Kamera in Größe alter Spiegelreflex-Fotoapparate ein HD- oder 4K-Video erstellen, wobei das klassische Stativ dank digitaler Bildstabilisatoren kaum noch genutzt wird. Wenn damals in Debatten der 68er Studentenbewegung die “Demokratisierung der Medien” gefordert wurde, ist sie heute erreicht; zumindest was die Technik angeht. Denn auch YouTube ist nahezu kostenfrei nutzbar: Bühne frei für jedermann und jede Frau. Im Ergebniss wird YouTube dabei überflutet mit Auto-Videos als “copy-paste-Journalismus”; eben Pressemappe kopieren und einfügen. Ein Auto-Video reduziert sich inhaltlich heute auf das Rezitieren der wichtigsten technischen Daten des Fahrzeugs gemäß Prospekt. Denn dieses durchgängige Re-Zitieren (Wieder-Aufsagen) ist produktionstechnisch am billigsten zu machen. Jeder Schnitt kostet Zeit und Geld. Vor der Jahrtausendwende galt im News-TV: eine Minute aktueller Bericht dauert eine Stunde Schnittplatz. Wenn die Jung-Reporter also fünf Minuten ohne Punkt und Komma und Schnitt durchreden, sparen sie schon mal rund fünf Stunden Schnittarbeit. Ebenso entfällt komplett ein Off-Text, denn der müsste erst geschrieben, eingesprochen und eingepasst werden.

In nur vereinzelten Szenen lässt die Abwesenheit des Re- und Rapportierenden im Bild auch mal Platz für das eigentliche Thema des Auto-Videos: nämlich das Fahrzeug. Das hat meist wenig zu tun mit der Rückbesinnung auf narrative Bildsprache, sondern stellt nur den unnützen Versuch dar, nicht als egomaner Selbstdarsteller zu gelten. Im Ergebnis entstehen so also 30- bis 60-minütige Auto-Videos, die nie ein TV-Sender zeigen könnte oder würde. Der informative Verlust hält sich dabei in Grenzen, denn letztlich sind solche Videos nichts weiter, als eine Verfilmung der Gebrauchsanweisung mit den sprachlichen Mitteln der Bildbeschreibung . . . auf der Höhe von Grundschul-Hausaufgaben. Es sind also Medienprodukte, die den einfachsten Standards von Journalismus nicht entsprechen, aber trotzdem fünf- bis teilweise sechsstellige Klickraten einsammeln. Warum?

Man muss kein Medienwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass YouTube nach einem einfachen Prinzip funktioniert: Masse statt Klasse. Wer die meisten Klicks hat, liegt ganz oben und vorne auf allen Kanälen. Beim politischen Aufreger “Fakenews” wird dieses Prinzip Quantität-vor-Qualität sogar zur Gefahr für die Demokratie. Auto-Videos sind, zumindest ihrer Absicht nach, meist politisch völlig harmlos, trotzdem schaukelt sich die Welle der Verbreitung nach gleichen Prinzipien auf. Motorjournalismus in den sogenannt “sozialen Medien” ist Feuer aus allen Rohren. Mindestens Facebook und Instagram werden als hybrider Antrieb für YouTube hinzugeschaltet, meist mit nahezu identischen Inhalten und eben den entsprechenden Klick- und Abo-Aufforderungen. Denn wer bei YouTube weniger als 1.000 Abonnenten (Follower) hat, kommt überhaupt nicht in den Genuss der Monetarisierung.

Indizien finden sich auch beim Lesen der Kommentare, worin sich die Fans solcher Auto-Videos als absolute Insider bestimmter Automarken zu erkennen geben. Dass dabei recht viele dem sprachlichen Anschein nach den Verdacht einer gewissen “Bildungsferne” erwecken, bringt vorurteilsfreudige Menschen dazu, ihnen auch die Kaufkraft für Neuwagen abzusprechen. Sehen die Hersteller das anders? Nein, denn in der Autoindustrie stehen die Abteilungen für Werbung und Verkauf oft noch ganz traditionell getrennt von der journalistischen Pressearbeit, wenn nicht sogar in innerbetrieblicher État-Konkurrenz. Selbst in den Presseabteilungen wird der Erfolg gemessen an Sendezeiten in Minuten, Reichweite oder Auflagenhöhe. Der Tausender-Kontaktpreis entscheidet über die Intensität der Zusammenarbeit mit bestimmten Medien und deren Vertretern.

Früher war in den Medien die Unterscheidung zwischen Kontakt-Quantität und -Qualität noch ein wichtiges Kriterium. Heute scheinen die Manager der Medienarbeit sich an das YouTube-Prinzip Masse-statt-Klasse angepasst zu haben, wenn auch unfreiwillig. In Deutschland sitzen mit die ältesten Neuwagen-Käufer in einem Porsche. Das Image der Marke lässt sich nicht dadurch verjüngen, dass man 22-jährige Influencer ohne Erfahrung und bar jeglicher journalistischer Kompetenz auf Kosten der Firma mit dem 911er Cabrio rumjuckeln lässt. Fahrend plumpsen dann Sätze aus dem Mund wie: ”Den würd’ ich mir auch holen.” Da sollte der Influencer froh sein, wenn er sich keine Influenza “holt”, denn die verbale Dysenterie scheint ihn schon ereilt zu haben.

Das Schlimmste ist aber, dass dieses Virus inzwischen auch ehemals “seriöse” Medien angesteckt zu haben scheint. Selbst ein bekanntes Nachrichtenmagazin hat offensichtlich seinen journalistischen Anspruch inzwischen deutlich tiefergelegt. Die Auto-Videos unterscheiden sich dort inhaltlich und Bild-ästhetisch kaum noch von den Billig-Produktionen der Selbstdarsteller.

Wer nun meint, das Problem erledige sich ohnedies mit der Tabuisierung der klassischen Verbrennerautos, der irrt. Die Berichterstattung über Elektro-Autos hat nur zum Umschwenken geführt oder zu weiteren Kanälen, die dann als Goldenes Kalb den Buchstaben E umtanzen. Selbst bei der Elektrizität bleiben die PS beharrlich gegen die von der EU geforderten kW in der Pole-Position. Es werden weiterhin technische Werte aufgesagt, auch wenn die nun andere Maßeinheiten haben. Allerdings ist nach “außen” und “innen” nun als dritter Drehort die Ladesäule hinzugekommen. Denn auch wie man ein Ladekabel in eine Säule steckt, das steht ja in der Gebrauchsanweisung, d.h. es muss verfilmt werden . . . am besten in einer Einstellung aus der Hand und mit den redundanten Monologen des automobilen Steuer-Beraters.

“Des Deutschen liebstes Kind ist sein Auto.” Schade nur, dass in der Berichterstattung die Kamera-Geilheit zu vieler Präsentatoren an Kindesmissbrauch erinnert.

(The PIERRE, der Netzbenutzer als Nestbeschmutzer)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert