Wer entscheidet, wo es langgeht?
Da tritt man an den Zebrastreifen, will die Straße überqueren und sieht ein Auto kommen. Aus der Erfahrung sind wir vorsichtig, denn wir haben gelernt, dass nicht alle Autofahrer den Vorrang der Fußgänger beachten. Aber diesmal erstarren wir auch vor Schreck, denn in dem Fahrzeug sitzt offensichtlich kein Fahrer. Überhaupt niemand, das Auto ist menschenleer. Und trotzdem bremst es ab, bleibt vor dem Zebrastreifen stehen und wartet beharrlich, bis wir die Fahrbahn überquert haben. Da ist man verwundert und als höflicher Mensch bedankt man sich. Bloß bei wem? Das Auto hatte nie eine andere Wahl: es ist nicht in der Lage Verkehrsregeln zu missachten, weil seine Programmierung das nicht zulässt.
Das „Auto-Mobil“ ist von Anfang an schon wörtlich aus dem Latein übersetzt „selbst-beweglich“. Nach seiner Erfindung sollte das Wort erklären, dass keine Zugtiere die Kutsche ziehen müssen und auch keine Menschen die Karre schieben. Über 100 Jahre später soll das Automobil auch „autonom“ fahren können. Die Wortbedeutung liegt irgendwo zwischen selbstständig, unabhängig und eigenbestimmt. Das autonome Fahren wird in technische Stufen von 1 – 5 eingeteilt, wobei der Grad 5 die vollständige Autonomie bezeichnet.
Die Entwicklung begann mit dem Einzug der Computertechnik und Rechner in Fahrzeugen, denn erst damit wurden so genannte „Assistenz-Systeme“ technisch möglich. Ein Tempomat, also eine Vorrichtung, die eine vorgegebene Geschwindigkeit des Autos selber hält, wäre theoretisch auch mechanisch machbar. Erst der adaptive Tempomat gilt als Fahr-Assistent, denn er überwacht zugleich den Abstand zum Vorausfahrenden und bremst wenn nötig auch wieder etwas ab. Die Liste von Assistenz-Systemen ist ellenlang, einige wie ESP sind inzwische sogar gesetzlich vorgeschrieben. Bei einem Presse-Fahrtermin abends an der Hotelbar erklärte mir ein Software-Entwickler seine Grenzen, denn er würde den Autokäufern am liebsten sagen: „Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann lassen Sie das Auto entscheiden. Das weiß es besser als Sie.“ Darf er aber nicht. Das wäre nicht gut für’s Image einer Marke, die sich eher an den „sportlichen“ Fahrer wendet. Wir nehmen das alles mit der Zeit als selbstverständlich hin, wobei unsere „Schmerzgrenze“ an einem technischen Entwicklungssprung deutlich wird.
Der „Einpark-Assistent“ wird inzwischen auch in kleineren Autos als Extra angeboten. Dabei manövriert sich das Fahrzeug mehr oder weniger selbsttätig in die Parklücke. Nun aber können wir dem Auto auch mit der Fernbedienung von außen den Befehl zum Einparken geben, ohne dass wir selber darin sitzen müssen. Das ist fast autonomes Einparken. Nur fast, weil wir den klaren Befehl dazu erteilt haben; das Auto selbst hat keine Entscheidung getroffen
Die Verkoppelung aller vorhandenen Assistenz-Systeme ermöglicht bereits heute teil-autonomes Fahren. Mit Tempomat, Verkehrszeichen-Erkennung und einem modernen Spurhalte-Assistenten bedarf es auf Landstraßen oder Autobahnen für knapp eine Minute keiner Aktivität des Fahrers mehr. Das Auto „weiß“ sogar, wie es hinter der Kurve weitergeht, denn die Daten sind im Navi hinterlegt. Sämtliche Kameras und Sensoren gleichen diese Datenbank ab mit den aktuellen Scans der Umgebung. Taucht ein unerwartetes Hindernis auf, dann wird eben abgebremst. So einfach ist das. Wirklich?
Autonome Fahrzeuge sind schon lange Alltag, nur die wenigsten bekommen davon etwas mit. In großen Hafenanlagen und in Industriehallen wuseln seit Jahren fahrerlose Transportsysteme herum. Die Menschen, die dort arbeiten, achten darauf längst nicht mehr, denn sie haben gelernt, dass die doofen Fahr-Roboter ja für sie bremsen müssen. Das funktioniert, weil der Einsatz in einem überschaubaren und genau definierten Raum stattfindet. Sämtliche Daten sind hinterlegt und bewertet, sämtliche Arbeitsabläufe seit Jahren bekannt. Diese Datenmenge ist beherrschbar.
Zudem sind dort oft auch hauseigene Ortungssysteme die Basis, währen das globale Positionserkennung-System GPS über Satelliten funktioniert. Denn vor der Frage, wo das Fahrzeug denn hin soll, kommt die Frage, wo es jetzt gerade ist. Schickt man solche Industrie-Fahrgeräte aber in den Berufsverkehr einer Großstadt, würden sie keine zehn Meter weit kommen: zu viel Unberechenbarkeit, zu viele Daten. Deshalb ist die Entwicklung des autonomen Fahrens auch vom neuen Mobilfunkstandard „5G“ abhängig. Ein großer Teil der notwendigen Daten muss von außen kommen, weil es auch um die Vernetzung der vielen Informationsquellen geht. Wichtig ist dabei: autonomes Fahren soll in unserer Vorstellung zielführend sein und ist folglich ohne die Datenbank eines Navis nicht möglich. Bis dahin scheint das alles technisch nicht gerade einfach, aber schon bald machbar.
Die wirklichen Probleme sind nicht technischer Natur und entstehen durch einen immer zu beachtenden Fall: den Unfall. Besonders in Deutschland sind Erprobungen oder Testfahrten im öffentlichen Straßenverkehr bisher sehr problematisch, weil die Versicherungsfrage nicht geklärt ist. Bei einem Verkehrsunfall entscheidet letztlich ein Gericht, wer der Schuldige ist und der muss dann den Schaden bezahlen. Was aber, wenn am Lenkrad kein Autofahrer saß, sondern das autonome Fahren versagt hat? Ist dann der Autohersteller in der Pflicht? Oder die Firma, die die Software programmiert hat? Oder trotzdem der Fahrer, obwohl er es gar nicht war?
Das zweite Problem ist noch grundsätzlicher, denn es geht um die Frage nach der Moral und Ethik in Zusammenhang mit einem Computer. Als Fallbeispiel wird gerne Folgendes benutzt. Das Auto gerät in eine Situation, in der ein Unfall unvermeidbar ist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder die Oma links überfahren, oder die zwei Kinder rechts. Die meisten menschlichen Fahrer würde eher die Kinder schonen. Aber darf man das in einem Rechner einprogrammieren?
Noch vertrackter wird die gleiche Situation, wenn anstelle der zwei Kinder eine Betonwand die einzige Ausweichmöglichkeit wäre und im Auto zusätzlich mein eigenes Kind sitzt. Soll der autonome Fahr-Roboter denn nicht alles tun, um die Insassen zu schützen? Dann hat die Oma aber schlechte Karten. Wenn man solche Konflikte lösen will, müsste man letztlich eine Tötungsabsicht einprogrammieren. Das klingt zwar juristisch distanziert, aber der Straßenverkehr wird durch Gesetze geregelt und die müssen von einer Mehrheit festgesetzt werden. Allerdings können die bestehenden Gesetze auch nicht verhindern, dass die Menschen hinter dem Steuer viel zu oft Unfälle bauen. Rein statistische gesehen dürfte das autonome Fahren dennoch sicherer sein, denn eine Maschine hat bis heute keine Gefühle, keinen schlechten Tag oder Aggressionen. Sie entscheidet je nach vorhandener Datenlage logisch und damit objektiv richtig; auch wenn das subjektiv nicht immer so empfunden wird. Aber Hand auf ’s Herz: schon heute überlassen wir es in der Fremde unserem Handy mit „Google Maps“, uns auf den rechten Weg zu führen.
Und lassen dabei zu, dass die Umgebungserfassung und unser Orientierungssinn langsam degenerieren.